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Medienkompetenz für alle

Immer regelmäßiger sieht oder liest man von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen oder die Impfung. Dabei frage ich mich immer häufiger: wie kommt es dazu, dass so viele Menschen so ausdauernd und teilweise mit so einer Radikalität auf die Straße gehen? Wie hängen diese Proteste mit Medienkompetenz zusammen?

Zu Besuch in meiner ehemaligen Studienstadt Regensburg im Februar 2022. Die Sonne lädt an diesem Samstag dazu ein, sich an der frischen Luft zu bewegen, um dem Wintertief entgegenzuwirken. So gehen auch meine Freundin und ich für einen Spaziergang durch die dank der Sonne ungewöhnlich belebte Stadt nach draußen.

Doch auch an diesem Samstag sind wir nicht allein. Seit einigen Wochen nun, habe ich mir danach sagen lassen, wird regelmäßig montags und samstags gegen die Corona-Maßnahmen bzw. gegen die Impfung demonstriert. So auch diesen Samstag: eine Kranzniederlegung zur Beendigung der Corona-Maßnahmen wird von Trommeln begleitet, danach wird eine Menschenkette entlang der Donau gebildet. Jede:r Demonstrant:in hält Blumen in den Händen [1].

Was auffällig ist: die große Mehrheit der Demonstrierenden befindet sich eher im mittleren Alter, das heißt mindestens 35 Jahre alt und aufwärts. Interessanterweise stellte das auch eine Studie der Uni Basel aus dem Jahr 2020 über die „Soziologie der Corona-Proteste“ fest. Hier sind 75% der Befragten aus dem Querdenken-Milieu über 38 Jahre alt [2]. Ich sehe nur wenige junge Erwachsene oder Jugendliche an der Demonstration teilnehmen – der Großteil der Personen in meiner Altersklasse sitzt am Donauufer und verfolgt das Szenario besorgt.

Warum sind so viele der Demonstrierende in diesem Alter?

Verschiedene Studien haben in den vergangenen zwei Jahren versucht, mehr über die Corona- und Impfproteste herauszufinden. Der allgemeine Konsens: es ist eine heterogene Gruppe, die sich nicht klar einem politischen Spektrum zuordnen lässt, auch wenn Tendenzen zu erkennen sind. Das ist auch nicht mein Ziel. Es ist mir gar nicht möglich, auf die vielen verschiedenen, u.a. psychologischen und persönlichen, Faktoren einzugehen. Was mich viel mehr beschäftigt: Was bewegt Menschen dazu, sich Corona-Protesten und Demonstrationen gegen eine Impfung anzuschließen, wo wir mittlerweile eigentlich so viele Informationen über die Krankheit selbst, die Impfung und ihre Vor- und Nachteile zur Verfügung haben?

Was man in vielen Artikeln und Beiträgen über die Demonstrierenden liest [3]: sie finden sich im Internet zusammen. Und hier werde ich aufmerksam: das Internet – eine Chance und Bedrohung gleichzeitig, mit der ich großgeworden bin. Deutlich geworden ist das bei Merkels „Internet ist für uns alle Neuland“ im Jahr 2013 [4]. Wie ich älter und erfahrener wurde, so wurde es auch das Internet. Ich erinnere mich noch an die damaligen Chatprogramme ICQ oder SchülerVZ, wobei ich da schon der jüngeren Generation angehöre. Meine Eltern ermahnten mich früher, unbedingt vorsichtig zu sein im Internet, auf Facebook und Instagram bloß nicht zu viel von mir preiszugeben, um mich vor den bösen, unbekannten Menschen im Internet zu schützen. Ich fürchte jetzt ist es eher andersherum: die Generation meiner Eltern hat das Internet und vor allem Social Media für sich entdeckt. Sie sind mittlerweile auf Facebook und WhatsApp zu finden, immer öfter auch auf Instagram, wie die ARD-ZDF-Onlinestudie zeigt [5].

Medienkompetenz steht in Zusammenhang mit Bildung und demokratischem Verständnis

Im Zusammenhang damit stellte die Studie „Quelle: Internet?“ der Stiftung Neue Verantwortung aus dem Jahr 2021 allerdings fest: „Je älter, desto geringer die [Medien-]Kompetenzwerte“ [6]. Ältere Menschen, in dieser Studie definiert ab 40 Jahren, sind im Umgang mit Medien nicht so gut wie jüngere Menschen, welche hier im Alter von 18 – 39 sind. Weitere relevante Faktoren sind jedoch auch die Bildung sowie die demokratische Grundhaltung. Je geringer die die Schulbildung und je geringer das Vertrauen in die Demokratie, desto geringer die Medienkompetenz.

Doch um als Gesellschaft krisenresistent zu sein, braucht es dringend mehr Medienkompetenz, insbesondere mit Blick auf Social Media und Desinformationen. In der gleichen Studie der Stiftung Neue Verantwortung wurde unter anderem die Fähigkeit getestet, Falschinformationen zu erkennen. Das Ergebnis war überraschend: Nur 43% der Befragten konnten Falschnachrichten bei einem nicht gekennzeichnetem Facebook-Beitrag erkennen, bei einem gekennzeichneten Beitrag waren es immerhin 59% der Befragten [7]. Und hier muss sich auch die Generation der 18 – 39-Jährigen an die eigene Nase fassen: diese schnitten zwar deutlich besser ab, doch auch in dieser Gruppe gibt es noch große Lücken.

Selbst wenn bei Schulkindern oder Studierenden deutlich häufiger Studien durchgeführt und Medientrainings veranlasst werden – auch wir, die Generationen Y und Z, sind nicht unbedingt besser, was digitale Medien und Medienkompetenz angeht. Meine These ist allerdings: wir werden deutlich mehr für das Thema sensibilisiert und teilen deshalb vermutlich nicht jeden Link und jedes Video, das wir bekommen – sondern immerhin nur jedes Zweite. Trotzdem ist dies stark von Bildung und Erziehung abhängig, wie die Studie der Stiftung Neue Verantwortung betont [8].

In diesem Zusammenhang muss ich auf meine eigene Blase blicken: ich habe studiert, meine Eltern haben viel Kraft und Aufmerksamkeit darauf verwendet, dass wir Kinder nicht zu viel Zeit vor dem Fernseher und Computer verbringen und lernen, kritisch zu denken und Meinungen zu hinterfragen. Nicht überall ist das der Fall. Wer das nicht lernt, wird auch im Internet nicht auf einmal kritischer.

Aus diesem Grund ist und bleibt es notwendig, auch im Hinblick auf zukünftige Krisen, dass wir die gesamtgesellschaftliche Medienkompetenz verbessern. Dies muss auf vielen verschiedenen Ebenen geschehen, sodass so viele Menschen wie möglich, im besten Fall alle, erreicht werden. Beispiele hierfür wären berufsbildende Maßnahmen oder Weiterbildungen, verpflichtende Kurse in Schulen, Berufsschulen und Universitäten und leicht zugängliches, allgemeines Informationsmaterial.

Trotzdem bleibt die Frage offen: Könnte eine höhere Medienkompetenz dazu beitragen, dass Bewegungen wie Querdenken weniger Zulauf bekommen?

Die Studie der Stiftung Neue Verantwortung weist darauf hin, dass ein geringes Vertrauen in die Demokratie mit der Medienkompetenz in Zusammenhang steht. Die eingangs erwähnte Studie der Uni Basel zeigt auch, was Corona-Gegner:innen gemeinsam haben: sie sind in Deutschland sehr unzufrieden mit der Demokratie in ihrem Land (64,3%) und vertrauen den etablierten Massenmedien überhaupt nicht (70%) und eher nicht (20%)[9]. Das heißt wer dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk genauso wie etablierten privaten Medien – Stichwort „Lügenpresse“ – nicht vertraut, sucht sich seine Informationen an anderer Stelle. Ganz hoch im Kurs ist dabei der Messengerdienst Telegram [10]. Deshalb gilt es umso mehr, diese Lücke zu schließen, Medienkompetenzen und Vertrauen in Medien schaffen, die eigenen Digitalkompetenzen stärken und Wissen vermitteln, um Informationen und Nachrichten richtig einordnen zu können. Nur so können wir unsere Gesellschaft stärken und besser vor der nächsten globalen Krise wappnen.

*Unbeauftragte Werbung: Wie gut bist Du im Umgang mit Medien? Die Stiftung Neue Verantwortung hat einen einfachen Test entwickelt, um die eigene Medienkompetenz zu testen. Eine ähnliche Version des Tests wurde zur Durchführung der Studie verwendet. Hier kannst Du dich selbst testen: https://der-newstest.de/


[1] Charivari-Beitrag: Impfgegner protestieren heute mit Menschenkette, 2022: https://www.charivari.com/impfgegner-protestieren-heute-mit-menschenkette-in-regensburg-180994/

[2] Studie „Politische Soziologie der Corona-Proteste“ der Universität Basel, 2020, S. 6: https://osf.io/preprints/socarxiv/zyp3f/ Wichtig zu erwähnen ist, dass sie unter anderem eine Befragung der Mitglieder von „Querdenken“-Telegramgruppen durchgeführt wurde, weswegen es hier zu verzerrten Antworten kommen könnte.

[3] Spiegel-Artikel: Länder wollen stärker gegen Querdenker und Coronaleugner vorgehen, 2021: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/corona-laender-wollen-staerker-gegen-querdenker-und-coronaleugner-vorgehen-a-d065aa46-3348-48b5-84a3-c461841ffdf9

[4] SZ-Artikel: Merkels Satz „Internet ist für uns alle Neuland“, 2013: https://www.sueddeutsche.de/politik/kritik-an-merkels-internet-aeusserung-neuland-aufschrei-im-spiesser-netz-1.1700710

[5] ARD-ZDF-Onlinestudie, 2021, ab S. 499: https://www.ard-zdf-onlinestudie.de/files/2021/Beisch_Koch.pdf und Statista, Nutzung von Social Media Plattformen nach Altersgruppen, 2021: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/543605/umfrage/verteilung-der-nutzer-von-social-media-plattformen-nach-altersgruppen-in-deutschland/ 

[6] Studie „Quelle: Internet?“ der Stiftung Neue Verantwortung, 2021, S. 5-6: https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/quelle-internet-digitale-nachrichten-und-informationskompetenzen-der-deutschen

[7] Studie „Quelle: Internet?“ der Stiftung Neue Verantwortung, 2021, S. 52-53: https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/quelle-internet-digitale-nachrichten-und-informationskompetenzen-der-deutschen

[8] Studie „Quelle: Internet?“ der Stiftung Neue Verantwortung, 2021, ab S. 30: https://www.stiftung-nv.de/de/publikation/quelle-internet-digitale-nachrichten-und-informationskompetenzen-der-deutschen

[9] Studie „Politische Soziologie der Corona-Proteste“ der Universität Basel, 2020, S. 38 – 41: https://osf.io/preprints/socarxiv/zyp3f/
Bewertungsskala: 0 = sehr unzufrieden, 10 = sehr zufrieden; 64,3% setzen sich zusammen aus den Ergebnissen von 0 = 36,05%, 1 = 12,24%, 2 = 15,83, was hier als sehr unzufrieden interpretiert wird.

[10] Spiegel-Kolumne: Radikalisierung über Telegram, 2021: https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/telegram-wie-die-radikalisierung-funktioniert-kolumne-a-bb45fa1e-0b64-4d13-ad49-b4301704b5f6